Einheitliches Patentgericht:
Nur 19 Minuten Zeitunterschied!
Können nur 19 Minuten das ganze Verfahren „umkrempeln“?
(Artikel von Dr. Thomas Rössler, LL.M.)
Nach Auffassung des Einheitlichen Patentgerichts in erster Instanz (UPC_CFI_1/2023, ORD_560432/2023, 24.08.2023) ist diese Frage zu bejahen! Am 1. Juni 2023 wurde um 11:26 eine Patentnichtigkeitsklage und, nur 19 Minuten später, um 11:45 eine Verletzungsklage eingereicht. Beide Verfahren betreffen dasselbe Patent und dieselben Parteien.
Nun schreiben das Abkommen und die Verfahrensordnung des in Europa neu geschaffenen und supranational zuständigen Einheitlichen Patentgerichts vor, dass die Nichtigkeitsklage als unzulässig abzuweisen wäre, wenn die Verletzungsklage vorher eingereicht wurde. Denn die Verletzungsklage (Lokalkammer München) würde die Patentnichtigkeitsklage vor der Zentralkammer blockieren. Die Idee ist, dass dann eben auch die Nichtigkeitsklage nur im Rahmen einer Widerklage vor der bereits angerufenen Lokalkammer München zulässig wäre.
Das Gericht erster Instanz hat nun, durch seinen Berichterstatter, zugunsten der Nichtigkeitsklägerin entschieden: 19 Minuten schneller ist also eben schneller, und die Nichtigkeitsklage im Ergebnis daher zulässig.
Anders beim EPA: Nur auf den Tag kommt es an.
Im Kontrast zur Auffassung des neu geschaffenen Gerichtes findet im Europäischen Patenterteilungsverfahren vor dem Europäischen Patentamt (EPA) hingegen regelmäßig der Grundsatz Anwendung, dass der Tag die „kleinste relevante Zeiteinheit“ darstellt. Beispielsweise sind Veröffentlichungen am Tage vor der Einreichung einer Patentanmeldung bereits relevanter Stand der Technik, am gleichen Tage jedoch nicht (unabhängig von der Uhrzeit). Oder es kann für eine Patentanmeldung noch am Tage vor einer Patenterteilung eine Teilanmeldung eingereicht werden, um weitere Aspekte der Erfindung zu schützen. Auch hier geht es am gleichen Tage (der Tag, an dem der Hinweis auf die Patenterteilung veröffentlicht wird) nicht mehr – also selbst dann, wenn der Teilanmeldung eine frühere Tageszeit als der Erteilungshinweis zukäme.
Die Schlussfolgerung: Vor dem Einheitlichen Patentgericht ist also wohl in Zukunft noch stärkere „quick action“ zu erwarten.
(Day)Time is of the essence.
Augelöst wurde diese Ausgangssituation übrigens durch einen Ausfall des Case Management System des Gerichts an seinem ersten Tätigkeitstage, vermutlich aufgrund einer Überlastung durch die vielen Anfragen. Die Parteien hatten hierdurch notgedrungen auf Papiereinreichungen zurückgegriffen.
European Patent Attorney
European Patent Litigator (Representative before the UPC)