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Geheimnisschutz 2.0:

Vertraulichkeitsschutz von Geschäftsgeheimnissen beim Einheitlichen Patentgericht (UPC)


Technische Implementierungen als auch beispielsweise Einkaufspreise können vor der Gegenseite im Prozess geschützt werden:
Effektiver Schutz sowohl für Ihr Know-How als auch geschäftliche Informationen

(Artikel von Dr. Thomas Rössler, LL.M.)

Sind Geschäftsgeheimnisse beim Gericht sicher?

Mit den Schutz von vertraulichen Geschäftsgeheimnissen in Patentstreitsachen muss sich derzeit das Einheitliche Patentgericht bereits in mehreren Verfahren befassen, darunter ein Verfahren vor der Zentralkammer München sowie eines vor der Lokalkammer Hamburg (Avago ./. Tesla).

Konkret geht es hierbei um den Schutz von bei Gericht durch eine Partei eingereichten verfahrensrelevanten Dokumenten vor Kenntnisnahme durch die Gegenpartei. Nach dem das Gericht schaffenden Übereinkommen kann dieser Schutz vom Gericht ganz oder vollständig (in Bezug auf ein Dokument bzw. seine Bestandteile) erteilt werden (also auch teilweise Schwärzung ist als Möglichkeit vorgesehen); ferner kann Kenntnisnahme auf bestimmte Personenkreise beschränkt werden, um das Geschäftsgeheimnis zu schützen (Artikel 58 EPGÜ). Die Verfahrensordnung bestimmt genauer, wie vorzugehen ist (Regel 262A VerfO).

In zwei Fällen – darunter eine Patentnichtigkeitsklage (UPC_CFI_80/2023) einerseits sowie eine Verletzungsklage (UPC_CFI_54/2023) andererseits – wurden kürzlich Verfahrensanordnungen erlassen, welche einen Geheimnisschutz für seine jeweiligen Antragsteller per gerichtlicher Informationszugangsbeschränkung der Gegenseite gewährleisten: im Falle der Nichtigkeitsklage zugunsten des beklagten Patentinhabers, im anderen Falle zugunsten der Verletzungsbeklagten.

Grundsätzlich können also „beide Seiten“ – d.h. sowohl Patentinhaber wie auch mutmaßliche Verletzer – von einer Beantragung derartiger gerichtlicher Zugangsbeschränkungen als Schutzmaßnahmen profitieren!

 

Konkretes Vorgehen zum Geheimnisschutz

Bei Einreichung des zu schützenden Dokumentes stellt die Partei hierzu einen Antrag. Gegebenenfalls (bei nur teilweiser Vertraulichkeit) können entsprechend geschwärzte Dokumente zusätzlich eingereicht werden. Sodann trifft das Gericht eine vorläufige Verfahrensanordnung (im Hamburger Falle Avago ./. Tesla siehe ORD_577763 vom 04.10.23), wobei es die Vertraulichkeit der ungeschwärzten Versionen sicherstellt und (gemäß Regel 262A.4 VerfO) die Gegenpartei zu einer Stellungnahme auffordert.

Im vorliegenden Falle wurden die ungeschwärzten Dokumente ausschließlich dem Vertreter der Gegenseite offenbart. Dieser wurde ferner vom Gericht zur Wahrung der Vertraulichkeit – d.h. insbesondere auch gegenüber sämtlichen Personen seiner eigenen Mandantin – verpflichtet. Nur zu der speziellen, als nicht vertraulich gekennzeichneten, geschwärzten Version bekam die Gegenpartei den uneingeschränkten Zugang.

Im Rahmen ihrer Stellungnahme sollte die Gegenpartei auch bis zu drei Mitarbeiter benennen, denen sodann (möglicherweise, im Ermessen des Gerichts) Zugang zur „unredacted version“ gewährt werden könnte. Denn Regel 262A.6 VerfO (siehe auch weiter unten) setzt hier weitere Grenzen bezüglich der Zahl der Personen (dabei sowohl ein Minimum als auch ein nach Zweckmäßigkeit der Informationen für das Verfahren zu beurteilendes „upper limit“).

Bei der eigentlichen Verfahrensanordnung bezüglich der Vertraulichkeit (für Avago ./. Tesla siehe ORD_577763 vom 03.11.23; diese endgültigte Verfahrensanordnung hat das Gericht wohl lediglich versehentlich bei ihrer Veröffentlichung in der Überschrift abermals als „Vorläufige Verfahrensanordnung“ ausgewiesen) wurde ferner die Vertraulichkeitsanordnung und Zugangsbeschränkung für bestimmte Informationsteile aufrechterhalten (darunter: Informationen zu einer technischen Implementierung; Einkaufspreise von verwendeten Computerchips).

Gemäß Regel 262A.5 VerfO kann das Gericht dem Antrag insbesondere dann stattgeben, „wenn die von dem Antragsteller angeführten Gründe für die Anordnung das Interesse der anderen Partei an einem uneingeschränkten Zugang zu den betreffenden Informationen oder Beweismitteln beträchtlich überwiegen.“ Es reicht, gemäß Richtlinie, ferner aus, wenn das Gericht überzeugt ist, dass es überwiegend wahrscheinlich ist, dass ein Geschäftsgeheimnis vorliegt.

Ein „prognostiziertes Vertriebsergebnis“ zum Tesla Model Y wurde andererseits vom Gericht als nicht vertraulich eingestuft und daher freigegeben. Diese Dokumente seinen als einfache Hochrechnungen lediglich auf Basis bekannter Informationen einzustufen.
Ein weiteres strittiges Dokument war von der Antragstellerin der Antragsgegnerin bereits zuvor übermittelt worden; dies zwar mit Vertraulichkeitshinweis, jedoch ohne jeglichen Hinweis auf eine Einschränkung des Personenkreises. (Achtung!) Auch die Zugangsbeschränkung dieses Dokumentes hat das Gericht aufgehoben!

 

Verhältnismäßigkeit, Relevanz des Informationszugangs für das strittige Verfahren, Zahl der Berechtigten

Die Verhältnismäßigkeit der Vertraulichkeitsmaßnahme soll (und kann) vor allem durch den beschränkten Personenkreis, welche Zugang zu den als wahrscheinlich geschäftsgeheim und infolgedessen vertraulich eingestuften Informationen erhalten, gewährleistet werden.

Die Verfahrensordnung bestimmt hierzu, dass die Zahl der Personen nicht größer sein darf „als für die Einhaltung
des Rechts der Verfahrensparteien auf einen wirksamen Rechtsbehelf und eine faires Verfahren erforderlich“. Ferner sind für den Informationszugang mindestens eine natürliche Person jeder Partei sowie die jeweiligen Anwälte oder Vertreter dieser Verfahrensparteien vorzusehen.

Kein Problem war im Falle Avago ./. Telsa jedoch eine Wahl der berechtigten Personen durch die Antragsgegnerin, bei welchen es sich um keine unmittelbaren Angestellten von Avago, sondern der Muttergesellschaft Broadcom handelte. Auch im parallelen Falle vor der Zentralkammer München wurde dieser Auffassung zum Personenkreis beigetreten (ORD_584830/2023).

Im Nichtigkeitsverfahren vor der Zentralkammer München ging es um die Vertraulichkeit eines Dokuments, welches die Nichtigkeitsklägerin eingereicht hatte, nachdem die Patentinhaberinnen beantragt hatten, das Nichtigkeitsverfahren auszusetzen, um zunächst das Ergebnis des parallelen Einspruchsverfahren vor dem Europäischen Patentamt abzuwarten. (- Am Rande: die Aussetzung wurde nicht gewährt (ORD_579547/2023), vor allem aus Gründen zeitiger Rechtssicherheit / Freedom-to-Operate. Über die konkrete Rolle des besagten „vertraulichen Dokumentes“ dabei können wir freilich nicht mehr als mutmaßen!)

Bei beiden hier involvierten Kammern des UPC herrscht ferner Einigkeit in einer weiteren praktisch relevanten Frage: Es sollte immer ein Vertraulichkeitsantrag bezüglich des „öffentlichen Registers“ parallel gestellt werden (Regel 262.2 VerfO).

 

Patentverletzungsklagen aus Europäischen Patenten und Nichtigkeitsklagen beim Einheitlichen Patentgericht:
Was wertvoll und geheim ist, soll geheim und wertvoll bleiben.

Das Einheitliche Patentgericht ist ein neu geschaffenes supranationales Gericht für Patentstreitigkeiten in Europa, welches am 1. Juni 2023 seine Tätigkeit aufgenommen hat. Seither werden die ersten Fälle bearbeitet.

Nach Maßgabe der EU-Richtlinie 2016/943 genießen Geschäftsgeheimnisse einen besonderen Schutz in der EU, auch im Rahmen von Gerichtsverfahren (vgl. insbesondere Artikel 9 der RL 2016/943).

Aber wann liegt rechtlich ein Geschäftsgeheimnis vor? Ein geeignetes Geschäftsgeheimnis entsteht bereits „automatisch“ kraft Gesetzes in einem Betrieb, und ganz ohne dass eine Registrierung vonnöten ist. Voraussetzung ist lediglich, dass keine allgemeine Bekanntheit oder Zugänglichkeit der Informationen besteht, sie (in geheimer Form) einen wirtschaftlichen Wert verkörpern, und dass – gemäß den jeweiligen konkreten Umständen – der Geheimnisinhaber adäquate Maßnahmen trifft, damit die geheimen Informationen auch in Zukunft weiterhin geheim bleiben.

Das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) als auch seine Verfahrensordnung (Rules of Procedure) schützen diese Geschäftsgeheimnisse, konform mit dem EU-Recht, und sehen daher im Prozess Verfahrensmaßnahmen für die Parteien vor, um diesen Schutz wirtschaftlich wertvoller Informationen effektiv gewährleisten zu können. Dieser Artikel diskutiert zwei kürzliche erfolgreiche Beispiele.

 

Dr. Thomas Rössler, LL.M.

European Patent Attorney

European Patent Litigator (Representative before the UPC)

 

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